Freitag, 3. August 2012

Orchha - das versteckte Juwel

Wer Orchha besucht, sollte unbedingt im Jahangir Mahal, der Burg von Orchha, übernachten. Hier hat das staatliche Tourismusamt ein Hotel eingerichtet, in dem nicht nur die Maharaja Suite auf einen modernen Stand gebracht wurde.

Die Burg hat mal einen ganzen Hofstaat beherbergt, dazu noch eine Garnison mit mehreren Tausend Soldaten nebst Kriegselefanten. Heute ist die Anlage fast menschenleer und es hat etwas von Geisterstadt:

Die Burg von Orchha ist ein Höhepunkt indischer Architektur. Hier ein Blick auf den Hof der Burg von der Maharaja suite aus

Obwohl ich nur einen Tag in Orchha verbracht habe, habe ich soviel an Geschichten und Eindrücken mitbekommen, dass mir der Aufenthalt dort viel länger vorkommt.
So besuchten wir am Abend eine Tonbildschau im Vorhof der Burg. Hier wurden mehrere Geschichten erzählt, von denen mir zwei in Erinnerung blieben:

Es stritt sich vor langer Zeit ein Königspaar, welcher der beiden Vishnu Inkarnationen besser wäre, Krishna, wie der König meinte, oder Rama, den die Königin bevorzugte. Die Königin ging darauf zur heiligen Stadt Ayodhya zum meditieren, bis ihr Rama als Kind erschien. Er versprach als Steinfigur mit nach Orchha zu kommen, allerdings sollte die Figur erst im Tempel enthüllt werden. Als die Königin mit der Figur in den Palast zurückkam, konnte der König es gar nicht erwarten, die Figur zu enthüllen, die danach nicht mehr bewegt werden konnte, so dass der Palast zum Tempel wurde und Rama somit der König von Orchha. Der zum Palast umgebaute Tempel ist heute noch Pilgerstätte.

Die andere Geschichte ist neueren Datums und bezieht sich auf die Eroberung Orchhas durch Aurangzeb. Dieser wollte seine Religion eher gewaltsam in Indien durchsetzen und konvertierte viele Tempel. Nur in Orchha hat er dies nicht getan, da seine Tochter den herrschenden Hinduprinz geheiratet hat. Und wirklich alle Tempel in Orchha sind bis heute hinduistisch. Vishnu ist ja der große Bewahrer, könnte ja vielleicht wirklich was dran sein, an seiner Regentschaft als Rama.

Am Morgen des nächsten Tages wurden wir dann durch einen Gesang geweckt, der von irgendeinem Tempel in der Nähe der Burg zu kommen schien:

Rechts die Burgmauer und unten die grüne Insel, im Hintergrund sind Tempel aus denen Ramayana gelesen wurde

Am Frühstückstisch klärte uns der Kellner auf. Bei dem Singsang handele sich um eine 48-tägige, ununterbrochene Rezitation des Ramayana. Das Ramayana ist eine umfangreiche Geschichte, die so etwas ist wie die indische Version der Ilias, auch hier müssen Helden eine entführte Frau befreien.

Es ist im wesentlichen eine Anpreisung des karma yoga, in der gepredigt wird, dass jeder seine Pflicht tuen und den Regeln folgen sollte. Also der König ein guter König und der Diener ein guter Diener sein solle. Wer eine vollständige Rezitation (48 Tage!) anhört, bekommt Punkte bei der nächsten Wiedergeburt!

Deswegen waren in Orchha auch viele Saddhus unterwegs, die andächtig zu lauschen schienen. Saddhus sind normalerweise ältere Männer, die mit dem Familienleben abgeschlossen haben und durch Indien mit Dreizack, Lendenschurz und Bettelschale herumlaufen.

Überhaupt war der Spaziergang durch Orchha nicht zu vergleichen mit einem durch anderen touristischen Zentren Indiens. Die aktiven Tempel durften zwar nicht fotografiert werden, aber dafür konnte
die Auslagen der Geschäften in aller Ruhe bewundert werden, ohne das direkt ein Verkäufer auf einen zustürmt.

Diese Kinder hier an der Wassestelle haben auch nur gegrüsst, Wasser geholt und nicht gebettelt:

Zwei Kinder holen Wasser an einer Wasserstelle in Orchha, die von Entwicklungshilfe gestiftet wurde

Orchha vorgelagert ist der alte Laxshmi Tempel, der nicht mehr benutzt wird. Hier zeigt sich die wundervolle staatliche Verwaltung der Sehenswürdigkeiten. Wer nämlich keine Eintrittskarte an der Burg gekauft hat, kommt hier nur durch Bestechung des Wächters herein. Ich habe vorgezogen den Regeln zu folgen, nicht zu bestechen  und den Tempel nur von außen zu bewundern.

Der alte Laxshmi Tempel von Orcha

Auf dem Weg zu den cenotaphs, den Königsgräbern von Orchha, bin ich allerdings von Kindern angebettelt worden. Diese waren sehr gepflegt und hatten gebügelte Stoffhosen an. Auf den Zähnen hatten sie Flecken vom Kauen der Betelnüsse.

Trotzdem bettelten sie um Schreibstifte, "gimme pen please". Anscheinend können manche Touristen ihr Schreibgerät nicht bei sich behalten.

Bei den Gräbern wurde ebenfalls die Eintrittskarte verlangt und wieder hätte ich einen Wächter bestechen können. Selbstverständlich habe ich das auch diesmal nicht getan.

Die Cenotaphs von Orchha sind die Grabanlagen der ehemaligen Herrscher Orchhas

Hier unten wird die Orchha deutlich touristischer. Es gibt hier sogar richtige Restaurants, in denen der Tourist unter seinesgleichen in der Sonne liegen kann.

Vielleicht war es gerade deswegen, dass mich die Begegnung mit dem älteren Saddhu so beeindruckt hat. Dieser kam uns entgegen mit seinem Dreizack, Lendenschurz und Bettelschale. Auf einmal kommt hinter uns ein Motorrad, macht eine Vollbremsung und eine Frau springt vom Sozius, wirft sich vor dem Saddhu zu Boden und bittet um einen Segen. Der Saddhu lacht, segnet und der Mann der Frau bezahlt ihn.

Aber das war nur die erste merkwürdige Begegnung mit Saddhus.

Touristisch aufgemachte Restaurants im Süden von Orchha

Auf dem Rückweg zur Burg, so in der Mitte der Brücke überholte uns mich ein junger Saddhu. Es war eher ein Kind, so ungefähr vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, mit Lendenschurz, Dreizack und Bettelschale, wie alle anderen auch. Aber das Kind war kräftig und schnell, es schaute uns kurz an, lief weiter und drehte sich nach 50 Metern noch einmal um.

Vielleicht lag es ja an der Tonbildschau am Abend vorher, an dem Rama als Kind gesprochen hat. Aber die Begegnung mit diesem jungen Saddhu habe ich heute noch vor Augen.

Die Burg von Orchha ist der Stadt vorgelagert und durch eine Brücke zu erreichen.

Zum Schluss möchte ich noch mein Sonnenuntergangsfoto präsentieren. Eigentlich ist es eines der ersten Fotos, die ich in Orchha gemacht habe. Aber durch den Sonnenuntergang passt es besser an den Schluss.

Die Sonne geht hinter dem Shiva Tempel von Orchha unter, im Vordergrund sind die Pavillions des Palastdachs


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